„Wir können kommen, ohne etwas zu leisten.“

Die Fragen stellte Julia Spliethoff

In einer Zeit, in der Meditation oft als Entspannungs- oder Achtsamkeitstechnik gilt, bietet die christliche Tradition eine andere Perspektive: Meditation als Begegnung mit Gott. In der jüdisch-christlichen Tradition geht es nicht um Perfektion, sondern um die Bereitschaft, als ganzer Mensch – körperlich im gegenwärtigen Moment anzukommen, erklärt Dr. Thea Vogt im Interview.

Meditation gibt es in verschiedenen spirituellen Traditionen. Was ist das Besondere an christlicher Meditation?

In der jüdisch-christlichen Tradition bedeutet Meditation, hineingerufen zu sein in die Gegenwart Gottes, die schon immer da ist und die wir selbst nicht herstellen können. Es ist eine liebende Begegnung, in der Gottes Sehnsucht nach den Menschen auf unsere Suche nach mehr trifft. Das heißt wir treten in Beziehung – das ist wohl der bedeutsamste Unterschied. Im Jüdischen nennt man das „Herzensaufmerksamkeit“. Es geht nicht nur darum innerlich leer oder ruhig zu werden, das sind eher Zwischenstationen. Letztendlich geht es um das Eintreten in Gottes Fülle.

Was hilft mir hineinzukommen in diese Fülle?

Es gibt hilfreiches Handwerkszeug, aber es geht im Grunde genommen nicht darum eine Methode zu lernen und das exakt auszuführen. Brücken in die Stille können Formen wie das Herzensgebet sein – eine Tradition aus dem ostkirchlichen Mönchtum.

Wie Gott sich zeigt oder was ich höre, bleibt unverfügbar.

Dabei werden Herzensworte gebetet, die ich mit dem Atem verbinde. Für manchen sind auch die Meditation mit Ikonen, das Sitzen in der Stille mit einem biblischen Wort oder die Meditation in der Natur ein Weg.

Wie kann ich Gott in der Natur erfahren?

Jeder Baum, jedes Blatt, alles ist eine Botschaft von Gott. Es geht darum mich einzulassen auf das Göttliche, das mich mit allem verbindet, und wahrzunehmen, was geschieht, wenn ich in diesem Schöpfungsraum unterwegs bin. Das kann sehr anrührend sein, denn im Außen begegnen einem oft Botschaften für das Innen.

Das heißt, in der Meditation muss ich nicht unbedingt stillsitzen?

Nein, es gibt ja auch den meditativen Tanz. Das ist eine alte biblische Weise mit meinem Körper mich für Gott zu öffnen ohne Worte zu verwenden. Das ist auch ein besonderes Erleben in Gemeinschaft – sich gemeinsam mit Musik und Gebärden in diese größere Wirklichkeit Gottes hineinfallen zu lassen. Mich als ganzen Menschen, als Leib wahrzunehmen, finde ich sehr wichtig. 

Warum ist diese Körperwahrnehmung so wichtig?

Weil wir keinen Körper haben, sondern Körper sind. Alles, was zwischen Menschen geschieht, ist auch ein Körpergeschehen. Wenn wir ernst nehmen, dass Paulus von unserem Körper als einem Tempel des Heiligen Geistes spricht, dann heißt das, mein ganzer Körper ist bewohnt von Gottes Energie. Mein Körper kann mich in die Gegenwärtigkeit bringen – Gedanken rennen oft vor oder zurück. Aber der Körper unterliegt der Schwerkraft und hilft uns, ganz in der Gegenwart anzukommen. In der Meditation geht es ums Verbundensein. Ich verbinde mich mit Gott und mit mir.

Was, wenn mein Körper nicht fit oder gesund ist?

Dabei ist niemand ausgeschlossen, denn das hat nichts mit Leistung und Optimierung zu tun. Ich kann mit Kindergartenkindern, Menschen mit Behinderung oder Sterbenden meditieren. Der Raum ist offen für alle – jeder darf eintreten, jeder ist willkommen. Gott ist erreichbar, zu jeder Zeit und an jedem Ort. Meditation ist ein demokratisches Geschehen, denn Gott ist zugänglich für jeden Menschen, unabhängig vom Alter, dem Geschlecht, dem Geldbeutel oder der Bildung. All diese Unterschiede, die wir immer so aufbauen, sind hier völlig egal.

Meditation ist ein demokratisches Geschehen, denn Gott ist zugänglich für jeden Menschen, unabhängig vom Geschlecht, dem Geldbeutel oder der Bildung.

Wir können kommen, wie wir sind, ohne etwas zu leisten und genauso, wie wir uns gerade fühlen – auch unabhängig von religiösen Gefühlen. Es wird viel davon gesprochen, sich selbst freundlich anzunehmen. Aber davor kommt, dass ich schon angenommen bin. Die Wunden, die in mir sind und alles, was nicht gelöst ist, kommt mit hinein in GOTT. Gottes Licht erleuchtet alles – auch die Schatten in mir  


Sie würden also sagen, Meditation ist für jede:n etwas?

Absolut. Es gibt dazu ein schönes Zitat von Ernesto Cardenal: „Wie der Eisvogel, der zum Fische fangen geschaffen wurde, und der Schmetterling zum Nektar saugen. So ist der Mensch geschaffen zur Liebe und zur Kontemplation.“ Trotzdem gibt es Phasen im Leben, da ist es nicht dran, 20 Minuten still auf einem Hocker zu sitzen. Aber 20 Minuten still in einem Park oder im Wald zu gehen ist genauso wertvoll.

Es gibt da keine Hierarchien, weil das ein intimes Geschehen mit Gott ist. Es geht um einen Herzensaustausch, bewegt oder unbewegt. Die Stille eröffnet einen besonderen Raum, in den ich nichts einbringen muss und auch keine Worte brauche. Das ist erleichternd, weil viele Menschen gar nicht wissen, wie sie beten sollen. 

Manche Menschen sind enttäuscht, weil sie in der Stille sitzen und nichts passiert. 

So geht es mir auch immer wieder mal. Das ist normal, weil es nicht zu verzwecken ist. Ich kann mich nicht hinsetzten und dann glorreich, fit und durchleuchtet aufstehen. Wie Gott sich zeigt oder was ich höre, bleibt ganz unverfügbar.

Pfarrerin Dr. Thea Vogt

bildet seit 17 Jahren im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Menschen in christlicher Meditationsanleitung im ev. Kloster Schwanberg aus. Sie ist zudem Focusing- Coach und Beauftragte für Geistliches Mentorat, das Räume für geistliche Übungen und geistliche Begleitung im Vikariat eröffnet.

Einen tieferen Einblick ins Thema gibt es auf der Seite des Kloster Schwanberg.

Foto: Thomas Lohnes

Christliche Meditation ist eintreten in den Raum der göttlichen Gegenwart.

Auf einem Tisch sind Farben, Pinsel, Stifte und Papier ausgelegt. Ich darf mir nehmen, was mich anspricht.

Bist Du gerne in der Natur? Spürst Du, wie Du unter freiem Himmel ganz besonders zur Ruhe kommst, neue Kraft schöpfst und eine Ahnung von etwas Größerem bekommst? Dann bist Du hier richtig.

Naturspiritualität ist ein weiter Begriff für viele verschiedene Formen, Glaubenserfahrung in der Natur zu suchen.

Wenn ich tanze, dann ist das für mich wie ein Gebet ohne Worte. Ich bin so vor Gott, wie ich jetzt gerade bin. Alles, was mich innerlich bewegt, darf sich auch im Außen bewegen.