Raus aus der Stadt und rein ins Abenteuer – mit dem Handy im Flugmodus hat Tabea Gutmann im Kloster nach Ruhe und Einkehr gesucht. Ein Erfahrungsbericht.
„Frau Gutmann? Wo bleiben Sie? Um zwölf Uhr gibt es Mittagessen!“ Ich bin mal wieder zu spät dran. Mit vollgepackter Tasche, das Handy am Ohr, sitze ich im Bus. Seit Tagen freue ich mich darauf, die Stadt zu verlassen. Doch wie mir die Stimme am Telefon erklärt, habe ich mich im Kloster geirrt. Schlappe 100 Kilometer liegen jetzt zwischen mir und der ersehnten Stille. Mit Bus, Bahn und Taxi könnte ich es heute noch schaffen – so beschließe ich, das Ganze jetzt als großes Abenteuer zu sehen.
Mehr als ein spirituelles Konzept
Als ich ankomme, ist es dunkel. Ich aktiviere feierlich den Flugmodus meines Handys. Die Glocken der angrenzenden Kirche läuten und ich fühle mich willkommen geheißen. Beim abendlichen Gottesdienst höre ich den lateinischen Gesang der Mönche. Ich verstehe kein Wort. Sitze einfach da und höre zu. Die Stimmen sind wunderschön. Tränen rollen mir über die Wangen. Ich muss plötzlich an die Gebrochenheit dieser Welt denken und an all die verzweifelten Menschen, die in ihrer Not zu Gott rufen. Für sie ist Gott kein spirituelles Konzept, kein Angebot, um wieder zu sich selbst zu finden. Sondern ihre einzige Hoffnung. Als ich aus der Kirche trete, herrscht sternenklare Nacht. Ich bleibe einen Moment in der Kälte stehen und atme kleine Wölkchen in die Stille. Dann laufe ich Richtung Haupthaus. Es ist 20.30 Uhr und nach einer Tasse Tee und zwei Seiten, die ich in mein Tagebuch geschrieben habe, fallen mir auch schon die Augen zu.
Mich selbst aushalten
Die Mahlzeiten werden in einem kleinen Gästeraum serviert. Ich merke, wie schwer es mir als extrovertiertem Menschen fällt, so wenig zu sprechen. Sobald ich mich an den Esstisch setze, baue ich Verbindung zu den Menschen um mich herum auf. Komm doch zur Ruhe meine Seele. Halte dich mal selbst aus und gönne dir diese ungeteilte Zeit.
In der Stille geborgen
Einsam fühle ich mich nicht. Ab und zu würde ich gerne ein Foto verschicken oder Musik anmachen. Aber dann lass ich es. Das Alleinsein tut mir gut und in der Stille fühle ich mich geborgen. Ich bin mal wieder bei mir selbst zu Hause. Und Gott ist auch da … glaube ich zumindest. An diesem ersten Vormittag muss ich raus aus dem Denken und rein in die Bewegung. Also ziehe ich Richtung Wald los. Ich rede laut mit Gott. Komisch ist das. Aber auch super. Irgendwann gehen mir die Worte aus und da fällt es mir zum ersten Mal so richtig auf: Diese Ruhe! Alles, was ich höre, sind meine Schritte, das Plätschern des Bachlaufs und vereinzeltes Vogelgezwitscher. Je weiter ich gehe, umso bewusster werde ich meiner selbst und Gott. Ich bin allein. Und auch nicht.
Stück für Stück
Ab dem zweiten Tag bemerke ich, wie sich etwas zu verändern. Schwer zu beschreiben, aber ich nehme mich nicht mehr so stark von außen mit den Augen der anderen wahr, sondern „schaue“ mehr von innen in die Welt hinaus. Bin präsenter. Voll bei den anderen, aber auch ganz bei mir. Ob das wohl ein Teil des Geheimnisses ist, warum Stille seit Jahrhunderten als geistliche Disziplin gilt? Ziemlich unspektakulär komme ich, Stück für Stück, wieder bei mir selbst an. Im Klosterladen entdecke ich ein Regal für Themen der Weltpolitik, Gesellschaft und Schöpfungsbewahrung. Diese Weltzugewandtheit an diesem so zurückgezogenen Ort löst eine „heilige Irritation“ aus. Ein scheinbarer Gegensatz, der mich tiefer führt. Das erlebe ich hier auffällig oft: Allein im Wald, spüre ich, dass ich nicht allein bin. Im Ankommen bei mir selbst, komme ich auch bei Gott an.
„Mein Leben ist kein Kloster“
Jeden Tag schlafe ich zehn Stunden und nach dem Mittagessen lege ich mich einfach noch mal hin. Herrlich ist das. Ab und zu frage ich mich: Sollte ich nicht ein besonders spirituelles Erlebnis haben? Ist ja nicht so, als ob es nicht genug Fragen gäbe. Es steht eine Veränderung im Job an und ich frage mich, wo ich wohl Ende des Jahres stehen werde. Aber in mir ist es ruhig. Ich atme ein und aus und bin für diese wenigen Tage einfach im Frieden mit allem. Meine Reise endet, wie sie begonnen hat: Mit Chaos. Auf dem Heimweg fallen mehrere Züge aus. Ich muss für zwei Stunden in der Kälte warten. Außerplanmäßige Stopps einlegen. Einmal verpass ich einen Umstieg. Einmal steige ich falsch um. Aber ich bleibe tiefenentspannt. Die bisher eher negativ behaftete „Stille Zeit“ hat mir in diesen Tagen in Form von Rückzug, Ruhe, Meditation und Spazierengehen einen attraktiven Zugang zu Gott und mir selbst gezeigt. So eine Form der Spiritualität würde ich gerne in meinen Alltag integrieren. Aber eines ist mir auf jeden Fall klar: Mein Leben ist kein Kloster. Der Stille muss bewusst Platz eingeräumt werden. Auf der Fahrt zurück in den Alltag bin ich wieder die meiste Zeit am Handy. Aber: Ich lade mir eine Meditations-App runter. Irgendwo muss man ja anfangen.
Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Textes aus dem DRAN Magazin.