Auf Reisen begegnen viele Menschen nicht nur neuen Landschaften, sondern auch sich selbst – und manchmal sogar Gott. Im Interview spricht Karsten Schaller, landeskirchlicher Beauftragter für Kirche und Tourismus in Bayern, über die spirituellen Erfahrungen, die Menschen unterwegs machen können, und welche Rolle die Kirche dabei spielt.
Herr Schaller, im Urlaub besuchen viele Menschen gerne Kirchen. Sind wir auf Reisen offener für Gott?
Im Urlaub haben viele Menschen mehr Zeit, um auf sich zu schauen und sich selbst bewusster wahrzunehmen mit dem, was sie bewegt. Das macht Menschen offener für spirituelle Erfahrungen, aber auch für Krisen.
Welcher Auftrag ergibt sich daraus für die Kirche?
Unsere Aufgabe als Kirche ist es unter anderem, Heilung in die Welt zu bringen, und viele Menschen sehnen sich danach. Daher stellen wir heilende Impulse und natürlich auch seelsorgerliche Angebote bereit.
Welche Angebote für Urlauber:innen gibt es denn überhaupt?
Wir versuchen möglichst niedrigschwellige Formate zu schaffen, und zwar dort, wo die Menschen sind. Das Angebot ist vielfältig und reicht von Ausstellungen über Kunst- und Musikprojekten bis zu vielgestaltigen Gottesdienstformaten. Wir veranstalten zum Beispiel Schäferwagen-Gottesdienste, Berggottesdienste, Sonnenaufgangsgottesdienste im Allgäu oder Seegottesdienste im Fränkischen Seenland.
Was ist das Besondere an diesen Orten?
Die Natur ist ein Ort, wo wir Gott begegnen können. In diesem Sinne bergen diese Orte einen großen Schatz. Das Evangelium stellt sich an verschiedenen Orten auch unterschiedlich dar – ein Bibelwort auf einem Berg wirkt zum Beispiel ganz anders, als an einem See oder wenn ich es in einer Kirche lese, weil immer noch etwas anderes mitschwingt.
Die Natur ist ein Ort, wo wir Gott begegnen können.
Da verbindet sich die Kraft der Natur mit der Kraft des Wortes. Es ist auch spannend zu sehen, wo Jesus überall gepredigt hat, der war ja auch nicht nur in Synagogen.
Was sollen die Menschen mitnehmen, wenn sie beispielsweise einen Berggottesdienst besucht haben?
Es gibt ein Lied von Herbert Grönemeyer, das heißt Sekundenglück. Ich wünsche mir, dass Menschen so ein Sekundenglück erleben und spüren, dass es mehr in diesem Leben gibt. Dass es eine große Kraft gibt, die ihr Leben hält und zu der auch sie gehören. Wenn es gelingt diese Erfahrung zu ermöglichen, ist das ein Traum. Das kann man nicht selbst machen, aber man kann das Setting dafür schaffen.
Welches Thema bewegt Sie aktuell in ihrer Arbeit?
Ich würde Menschen gerne zeigen, dass es unfassbar spirituelle Orte gibt an Stellen, an denen sie es vielleicht gar nicht erwarten. Mein Anliegen ist, dass die Schönheit überall in Bayern wahrgenommen wird und nicht nur an den touristisch erschlossenen Orten wie in Oberbayern oder dem Allgäu.
An welchem Ort haben Sie Gott zuletzt nicht erwartet und doch gefunden?
In Bayern gibt es sehr viele Kirchenruinen, die kein Mensch kennt. Das spannende daran ist, dass man in eine Kirche geht und trotzdem den weiten Himmel oder den Wald über sich hat.
Das Evangelium stellt sich an verschiedenen Orten ganz unterschiedlich dar – ein Bibelwort auf einem Berg wirkt ganz anders als an einem See.
Es sind Orte an denen Menschen vor Jahrhunderten schonmal getröstet wurden, wo ich jetzt wieder hinkomme, und beides erfahre – einen heiligen Ort und die Natur um mich herum. Das finde ich absolut faszinierend.
Was kann die Kirche vom Tourismus lernen?
Zu fragen, was die Menschen eigentlich brauchen. Wir als Kirche meinen oft zu wissen, was die Leute brauchen. Da können wir vom Tourismus lernen genau hinzuhören, was den Menschen guttut und was ihnen hilft, um im Urlaub eine spirituelle Erfahrung machen zu können. Ich denke diese dienstleistende Haltung macht uns demütig.