In Breitbrunn am Chiemsee ist etwas Ungewöhnliches entstanden: Eine Kirche, die nicht laut sein muss, um gehört zu werden. Die Erlöserkirche lädt ein zur Stille – und zur Begegnung. Mit sich selbst, mit anderen und mit dem Heiligen.
Es riecht nach Pfingstrosen, die Tür zum Garten steht offen. Vögel zwitschern, Sonnenlicht fällt durch große Glasflächen auf einen hellen Boden, der sich unter den Füßen warm anfühlt. Kissen und kleine Hocker laden zum Verweilen ein. Nicht zum Verharren im alten Trott, sondern zum Ankommen bei sich selbst. Die Erlöserkirche in Breitbrunn ist ein besonderer Ort geworden: still und doch voller Leben.
Dabei stand am Anfang vor allem Leere. Eine Kirche aus den 1960er-Jahren, dunkel, mit klobigen Holzbänken, kaum noch genutzt, während sich das Gemeindeleben längst an anderen Orten abspielte. Etwa im acht Kilometer entfernten Prien. Dort ist Pfarrer Mirko Hoppe zu Hause, in einer lebendigen, bunten Gemeinde, in der viel passiert. Und doch fehlte etwas: Raum für die leisen Zwischentöne des Glaubens. „Kirchen sind nicht nur Sozialräume“, sagt Hoppe. „Das ist schön und wichtig. Im Kern geht es aber um die Begegnung des Menschen mit dem Heiligen.“
Ein alter Bau, ein neuer Geist
2019 entschloss sich der Kirchenvorstand, mutig in die alte Kirche zu investieren. Nicht, um nostalgisch ein Museum zu bewahren, sondern um einen neuen Zugang zu schaffen – zu Gott, zur Spiritualität, zur Stille. Das Ergebnis: eine helle, freundliche Kirche mit modernem Lichtkonzept, farbig gestaltetem, beheizbarem Estrichboden und Möbeln, die flexibel sind wie die Menschen, die hierher kommen.
Dabei hat man das Alte nicht einfach abgeschafft, sondern verwandelt. Die Zeltform der Kirche blieb erhalten, getragen von Holzstreben, von denen eine in ein mächtiges Kruzifix übergeht: Christus als tragendes Element. Ein Werk des Bildhauers Andreas Schwarzkopf, das über allem wacht.
Tür auf fürs Leben
„Ich will Kirche nicht nur verwalten. Ich will Kirche gestalten“, sagt Hoppe. Und das ist gelungen. Heute ist die Erlöserkirche nicht nur für Gemeindemitglieder ein Anlaufpunkt, sondern auch für Urlauber am Chiemsee, für Radfahrer, die das Schild am Wegesrand entdecken und neugierig eintreten, für Suchende und für Neugierige. Niemand muss draußen bleiben, niemand muss Eintritt zahlen. Jeder ist willkommen.
Es gibt Andachten, Taufen, Hochzeiten – aber vor allem auch meditative Angebote, Körper- und Achtsamkeitsübungen, Tanz und Gespräch. Über ein Touchpad können Besucher Musik oder Texte abspielen, Liedtexte erscheinen auf Wunsch über einem Beamer. Natürlich war das nicht für alle leicht. Der Abschied von der alten Orgel oder den vertrauten Kirchenbänken fiel manchen schwer. „Mit Mauern verbinden die Leute viel“, erzählt Hoppe. „Da war die Angst, der Kirche etwas zu nehmen.“ Doch im Gespräch ließen sich viele Bedenken ausräumen.
Stille, die nicht leer ist
Stille ist nicht gleichbedeutend mit Geräuschlosigkeit – das wird hier schnell klar. In Breitbrunn ist Stille kein steriles Konzept, sondern ein lebendiger Raum. Ein Raum, der unterbricht. Der innehalten lässt. Der einlädt, sich selbst zu begegnen und Gott.
Für Hoppe ist Stille kein Selbstzweck. Sie ist Begegnung. Und manchmal ist sie unbequem. „In der Stille kommen die schweren Themen meines Lebens an die Oberfläche. Aber ich weiß, dass ich sie bei Gott abgeben kann.“ Den stillsten Moment hat er selbst erlebt, während einer Meditation, die er leitete. „Da hatte ich einen Moment, in dem ich mich sehr aufgehoben gefühlt habe.“
Ein heilsamer Gegenentwurf
In einer Zeit, in der vielerorts Kirchen schließen, öffnet sich in Breitbrunn eine neue. „Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen“, sagt Hoppe. Kirche lebt, wo Menschen zusammenkommen – in aller Verschiedenheit, mit aller Sehnsucht. „Ich wünsche mir, dass wir als Kirche heilige Orte schaffen. Nicht exklusiv. Sondern Orte, an denen Menschen spüren: Hier ist etwas, das finde ich nicht im Vereinshaus. Hier ist Gott.“
Wer hier eintritt, spürt es. Vielleicht nicht laut – aber deutlich.