Sechs Tänzerinnen und Tänzer bilden in dramatischen Posen eine dynamische Gruppe auf der Bühne, halten sich an den Händen und strecken sich aus, tragen taillierte, erdfarbene Kostüme und werden von grünem Bühnenlicht begleitet.

Tanz als Tür zu Tieferem

Die Fragen stellte Julia Spliethoff

Was passiert, wenn wir unseren Körper in die Spiritualität einbeziehen? Pfarrerin Dr. Tatjana Schnütgen erzählt, wie Tanz für sie zum spirituellen Weg wurde – geprägt durch lebendige Gottesdienste im Kongo, vertieft in der christlichen Tanzarbeit.

Wie sind Sie zum Tanzen gekommen?
Der Auslöser war eine Tanzparty für Jugendliche in meiner Kirchengemeinde – ich war damals im Konfirmandenalter. Ich erinnere mich gut: Ich hatte mich noch nie so frei gefühlt. Ich war eins mit der Musik und konnte sie in etwas Schönes, Kraftvolles übersetzen. Dieses Erlebnis hat mich tief geprägt. Seitdem begleitet mich der Tanz durchs Leben.

Was versteht man unter spirituellem Tanz?
Das ist gar nicht so leicht zu definieren. Es ist zunächst einmal Tanz, was ihn spirituell macht, ist der Kontext, die innere Haltung, die Intention. Vergleichbar mit Kirchenmusik: Auch dort lässt sich nicht festlegen, dass sie nur in einer bestimmten Tonart oder mit bestimmten Instrumenten spirituell sein darf.

Sie haben einige Jahre im Kongo gelebt. Inwiefern hat diese Zeit Ihren Zugang zum Tanz verändert?
Ich habe sechs Jahre im Kongo gearbeitet. Dort sind die Gottesdienste sehr lebendig – es wird viel gesungen und getanzt. Die Bewegung im Kirchenraum schafft eine Atmosphäre von Freude und Verbundenheit. Als ich nach Deutschland zurückkam, habe ich nach einer spirituellen Praxis gesucht, die meinem Wunsch nach Bewegung entspricht. So bin ich zur „Christlichen Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität“ gekommen. Seitdem ist Tanz ein fester Bestandteil meines Glaubenslebens.

Was ist Ihnen aus dieser jahrelangen Beschäftigung besonders wichtig geworden?
Es braucht Menschen, die tanzpädagogisch geschult, spirituell verwurzelt und mit choreografischem Arbeiten vertraut sind. Denn Tanz als spirituelle Praxis ist keine beliebige Bewegung – es ist ein Übungsweg, der Begleitung und Reflexion braucht.

Der Tanz verändert den Raum – er schafft einen Ort der Begegnung.

Wie unterscheidet sich ein getanztes Gebet von anderen Gebetsformen oder Meditation?
Ein getanztes Gebet bezieht den Körper aktiv mit ein. Wir leben körperlich, warum sollte nicht auch unser Gebet körperlich sein? Für manche ist das herausfordernd, gerade wenn sie keinen positiven Zugang zum eigenen Körper haben oder denken, sie könnten „nicht tanzen“.
Doch ich glaube, Gott hat uns als körperliche Wesen geschaffen. Und deshalb ist es nur folgerichtig, dass auch der Körper ein Ort spiritueller Erfahrung sein kann. Beim spirituellen Tanz geht es nicht um Technik. Jeder Mensch kann tanzen – weil es nicht um Leistung geht, sondern um Ausdruck und Präsenz.

Sie sagen, Tanz sei nicht nur Ausdruck, sondern auch Eindruck. Was meinen Sie damit?
Tanz kann einerseits Ausdruck sein, etwa im Gottesdienst, wenn er mit Musik und Verkündigung verbunden wird. Dann wird Tanz zur künstlerischen Form, die eine Botschaft transportiert.
Aber spiritueller Tanz ist auch ein Weg nach innen: Er öffnet Räume, in denen ich mir selbst und Gott begegnen kann. Mit meinem ganzen Sein, nicht nur im Denken, sondern auch im Fühlen und Spüren.

Braucht es bestimmte Räume für solche Erfahrungen?
Tanz schafft immer Raum – innerlich und äußerlich. Wenn ich mich bewege, verändere ich den Raum, mache ihn lebendig. Und doch ist es hilfreich, wenn es Orte gibt, die spirituell aufgeladen sind, so wie Kirchen. In der Geborgenheit eines Kirchenraums fällt es oft leichter, sich einzulassen und aus der Komfortzone zu wagen. Ich wünsche mir mehr Kirchen, in denen auch getanzt werden darf.

Tanz ist nicht nur Ausdruck, sondern auch Eindruck.

Sie sind Vorsitzende der Christlichen Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V. Wie ist der Verein entstanden und was ist sein Anliegen?
Die Wurzeln reichen zurück bis ins frühe 20. Jahrhundert. Damals entstand mit dem Modern Dance ein neuer Zugang zum Tanz – nicht mehr formbetont, sondern ausdrucksstark, von innen nach außen. „Tanz ist die verborgene Sprache der Seele“, sagte die Tänzerin Martha Graham.
In der liturgischen Bewegung der 1930-er Jahre suchte man bereits nach Wegen, Bewegung und Tanz in die Liturgie zu integrieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg entdeckte auch die Kirche langsam die Bedeutung des Körpers. Kirchentage haben hier wichtige Impulse gegeben. In den 1990er-Jahren hat der katholische Theologe Gereon Vogler mit Symposien zentrale Fragen gestellt: Wie tanzt man aus christlicher Spiritualität heraus, ohne in bloßes Showtanzen oder esoterische Beliebigkeit abzurutschen? Aus diesen Impulsen ist unser Verein entstanden. Seitdem veranstalten wir alle zwei Jahre Festivals, dazwischen Symposien – Orte, an denen wir sowohl tanzen als auch gemeinsam über Tanz und Spiritualität nachdenken.

Ist es gelungen, den klassischen Sonntagsgottesdienst mit Tanz zu erneuern?
Nicht in dem Maß, wie man es sich damals erhofft hatte. Viele Menschen kommen heute in den Gottesdienst, weil sie das Bekannte, das Ritual suchen. Veränderungen stoßen da oft auf Zurückhaltung. Schon das Aufstehen und Heben der Arme kann eine Hürde sein.
Mit Kindern ist es leichter, denn sie bewegen sich intuitiv und stecken die Erwachsenen an. Aber insgesamt bleibt der klassische Gottesdienst eher bewegungsarm.

Ein getanztes Gebet bringt mein ganzes Dasein vor Gott.

Gibt es andere Formate, in denen Tanz als spirituelle Praxis Raum findet?
Ja. Es gibt zum Beispiel Tanzgottesdienste. Der Tanz tritt dort in die Liturgie ein: als Gebet, als Antwort auf die Predigt, als Lob oder Segen. Tanz kann Dinge ausdrücken, die mit Worten schwer zu sagen sind. Und genau darin liegt sein Wert.

Wie kann diese Praxis Gemeinden vor Ort nähergebracht werden?
Indem wir niedrigschwellige Angebote schaffen. Räume, in denen Menschen erste Schritte wagen können – im doppelten Sinn. Wo sie eingeladen sind, sich mit ihrem ganzen Sein für Gott zu öffnen.

Beobachten Sie aktuell neue Entwicklungen in dem Bereich?
Ich sehe, dass einige Landeskirchen Tanz zunehmend Raum geben. Sie nehmen wahr, dass viele Menschen heute andere Zugänge zu Spiritualität suchen: körperlich, sinnlich, lebendig. Das ist eine ermutigende Entwicklung.

Dr. Tatjana K. Schnütgen

ist evangelische Kurseelsorgerin und Tourismuspfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sie wirkt im Ökumenischen Kurseelsorgezentrum Emmaus Bad Griesbach im Dekanat Passau. Neben ihrer seelsorglichen Arbeit vor Ort bringt sie ihre Ausbildungen in Modern Dance und Tanztheater in Workshops und Gottesdiensten deutschlandweit ein. Sie ist Vorsitzende der Christlichen Arbeitsgemeinschaft Tanz in Liturgie und Spiritualität e.V.

Mensch-Sein in dieser Welt heißt immer auch Körper-Sein, in-Resonanz-Sein mit der Welt, die mich umgibt.

Wenn ich tanze, dann ist das für mich wie ein Gebet ohne Worte. Ich bin so vor Gott, wie ich jetzt gerade bin. Alles, was mich innerlich bewegt, darf sich auch im Außen bewegen.

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Das Bild zeigt das Wort hier in einer lässigen, orangefarbenen Schriftart auf weißem Hintergrund.