Foto: Tim Guttenberger

Den Bogen spannen, den Geist befreien

von Julia Spliethoff

Zielen, loslassen, vertrauen: Meditatives Bogenschießen ist mehr als ein Sport – es ist eine spirituelle Praxis. In Nürnberg lehrt Reinhard Krauß, wie das bewusste Spannen und Loslassen des Bogens helfen kann, innere Ruhe zu finden und sich mit Gott zu verbinden.

Ein „Gong“ ertönt, dann ein kurzes Zischen, „Ffft“ und die Pfeile stecken im Ziel. Während in der Nürnberger Altstadt das Leben lärmt, ist es im Obergeschoss des lichtdurchfluteten alten Steinhauses wieder ganz still. Ein weiterer Gongschlag gibt den Schützen das Zeichen, ihre Geschosse wieder einzusammeln. Dieser Ablauf wiederholt sich dreimal, dann werden die Pfeile mit einer Verbeugung an die nächsten Bogenschützen weitergereicht. Ob sie ihr Ziel auch erreicht haben, weiß keiner, denn gesprochen oder kommentiert wird nichts – und auch Zielscheiben sucht man hier vergeblich.

Ein absichtsloses Streben

Zwei Mal im Monat trifft sich Reinhard Krauß, Leiter der Übungsgruppe „Den Bogen spannen, um loszulassen“, im Meditationsraum des Ecksteinhauses mit allen Interessierten. Wand und Fenster schützt dabei ein großes Pfeilfangnetz. Geschossen wird auf sogenannte Dämpfer, große Scheiben ohne Ringe, denn ums Treffen geht es hier in erster Linie nicht. Im Fokus steht das Zielen, ohne zu zielen – oder wie Reinhard Krauß es nennt: „das absichtslose Streben nach einem Treffer“. Doch nicht nur in diesem Punkt unterscheidet sich das meditative Bogenschießen vom gleichnamigen Sport. Denn statt an der Trefferquote wird hier am hinteren Ende des Pfeils gearbeitet.

Meditation in Bewegung

Mitmachen dürfen alle, die Interesse und Grundkenntnisse im Bogenschießen haben, denn der Bewegungsablauf sollte sitzen und nicht zu viel Konzentration erfordern. „Aber Bogenschießen kann jeder lernen“ erklärt Krauß. Das sei unabhängig von Alter, Geschlecht oder Konstitution. Das meditative Bogenschießen würde er allen empfehlen, die einen Weg in die Meditation finden möchte, für die das Sitzen aber nicht der richtige Weg ist. Denn wer den Bogen spannt, öffnet sich. Die Haltung, aber auch das Herz und die Sinne.

Der Weg zur Mitte

Beim meditativen Bogenschießen geht es nicht darum, die Mitte eines Zieles zu treffen, sondern darum, die eigene Mitte zu finden: die Einheit von Körper, Geist und Seele zu erleben – durch Achtsamkeit, Konzentration und Entspannung. Deswegen beginnt und endet das Treffen in Nürnberg auch mit einer Zeit der stillen Meditation.
Beim Schießen liegt die Konzentration auf einem festen Stand und einer aufrechten Haltung. Es geht darum Spannung aufzubauen, auszuhalten und im Moment der größten Spannung loszulassen. Dadurch wird es möglich den eigenen Körper bewusst zu erfahren und das eigene Tun zu reflektieren. Das Ziel, so der Profi, sei es, den Stress des Alltags abzubauen, sich selbst wieder stärker wahrzunehmen und im „Hier und Jetzt“ anzukommen. Für Reinhard Krauss bedeutet das: „Ich lasse alle Gedanken, die mich vorher beschäftigt haben hinter mir und bin dann nur bei der Sache. Das hat den schönen Effekt, dass mein Geist auf Empfang schaltet und im besten Fall einen Kontakt zu Gott herstellen kann. Ich spüre, dass er da ist. Das ist eine wahnsinnig wertvolle Erfahrung und das Bogenschießen ist ein Weg, um dahin zu kommen.“

Jeder Schuss ein Glaubensakt

Der „Gong“ ertönt und die nächste Salve an Pfeilen sucht sich ihr unbekanntes Ziel. Der Moment, in dem die Teilnehmenden die Finger von der Sehne lösen und der Pfeil davonfliegt ist aufgeladen – und er fordert Vertrauen. In sich selbst, in den Prozess und in etwas Höheres. Weil man die Kontrolle aufgibt, ohne zu wissen, wo das Geschoss landen wird. So wird jeder Schuss zu einem stillen Akt des Glaubens, der deutlich macht, dass nicht alles in unseren Händen liegt.

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Mensch-Sein in dieser Welt heißt immer auch Körper-Sein, in-Resonanz-Sein mit der Welt, die mich umgibt.

Christliche Meditation ist eintreten in den Raum der göttlichen Gegenwart.

Ich binde die Schnürsenkel meiner Sportschuhe, atme die frische Morgenluft ein und beginne zu laufen…Schritt für Schritt lasse ich meine Gedanken ziehen, komme vom Kopf in den Körper – und dabei ganz bei mir an.