Beten: Kopf aus, Herz an

von Julia Spliethoff

Beten an der Supermarktkasse, am Arbeitsplatz oder auf der morgendlichen Joggingrunde? Mit dem Herzensgebet ist das möglich. In der Stille eingeübt, kann es zum ständigen Begleiter werden, denn dabei spricht nicht der Mund, sondern das ganze Sein eines Menschen zu Gott – mit allem, was dazugehört.

Die Übung klingt erstmal einfach: In der Meditation wird ein kurzer Satz oder ein Wort unablässig wiederholt, bis es zu einem wortlosen Gebet im Rhythmus des eigenen Atems wird. Dieses wird so verinnerlicht, dass es, wie ein Ohrwurm – oder wie eine Herzenslied – auch im Alltag im Hintergrund präsent ist. Doch so simpel sich das anhört, um diesen andauernden inneren Gottesdienst zu feiern, ist Übung nötig.

Das Jesusgebet

Die meditative Praxis des Herzensgebets hat eine lange Tradition. Seine Anfänge reichen zurück bis zum murmelnden Meditieren der Wüstenväter. Im frühen östlichen Mönchtum wurden kurze Bibelverse immer wiederholt, teilweise laut ausgesprochen, teilweise innerlich aufgesagt. Die bekannteste Form ist das ostkirchliche Jesusgebet. „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.“ lautet die klassische Formel. In einer modernen Form wird statt der Bibelzitate nur noch kurz und knapp den Namen Jesus Christus angerufen.

Dranbleiben

Welches Wort gebetet wird, ist individuell – meistens handelt es sich um schlichte Worte, die eine große Tiefe haben, wie „Ja“, „Amen“ oder „Du“. Bei der Wahl des Gebetswortes spielt auch der Klang eine große Rolle. Empfohlen wird, nicht ständig zu wechseln, sondern bei einem Wort zu bleiben, das sich passend anfühlt – weil es darum geht, in die Tiefe zu gehen und auf die eigenen Ablenkungsmechanismen zu stoßen – auszuhalten, wenn es unbequem wird.

Der Kopf lässt sich dabei natürlich nicht ausschalten und so dürfen Bilder und Gedanken kommen, aber auch wieder gehen. Die Challenge besteht darin, immer wieder zu dem Wort und dem eigenen Atem zurückzukehren und in der Gegenwart zu bleiben.

Alles erlaubt

Wer sich praktisch daran versuchen will, sollte im ersten Schritt die eigene Wahrnehmung schärfen, erklärt Ralph Thormählen, Landeskirchlicher Beauftragter für die Aus- und Fortbildung in Geistlicher Begleitung. Dabei helfen kann zum Beispiel eine Auszeit in der Natur oder ein ausgedehnter Waldspaziergang, bei dem man mit allen Sinnen wahrnimmt, was um einen herum passiert. Im zweiten Schritt geht es darum, Kontakt mit sich selbst aufzunehmen. Dafür suche ich mir einen ruhigen Ort, setzte mich bequem hin und nehme den eigenen Atem wahr. Das ist für die meisten Menschen eine große Herausforderung, da sie gewohnt sind ständig etwas zu tun. Wie lange diese Phasen dauern, ist individuell, man sollte aber ausreichend Zeit für diese ersten Schritte einplanen. Wenn das gut funktioniert, geht es weiter, mit einem Wort, das das Ausatmen begleitet. Dabei wird dem inneren Klang nachgelauscht. Was geschieht in mir? Gibt es eine Resonanz? Gibt es einen Widerstand? Alles ist möglich und erlaubt. Mit der Zeit kommt dann das Einatmen dazu. Mit viel Übung ist es möglich, das Gebet zu seinem ständigen Begleiter zu machen. Ob ich nun Karotten schäle oder im See schwimme, mein Innerstes betet quasi von allein.

So kann ich lernen, mit Gottes Gegenwart in Berührung zu kommen, die eh immer da ist – nur wir sind es so häufig nicht.

Was tun wir, wenn wir beten? Ist es einfach nur ein Gespräch mit mir selbst – oder kommen meine Worte bei einem Gegenüber an? Diese Fragen bewegen Menschen seit jeher.

Christliche Meditation ist eintreten in den Raum der göttlichen Gegenwart.

Wir leben in einer Welt, in der wir ständigen Reizen und Informationen ausgesetzt sind. Eine Welt, in der die leisen Töne manchmal überhört werden, weil das Grundrauschen so laut ist.