Spiritual Care will Menschen begleiten – nicht nur medizinisch, sondern ganz. Theologin Nika Höfler forscht an der Schnittstelle von Medizin, Seelsorge und Spiritualität – und ist überzeugt: Gute Versorgung meint mehr als körperliche Genesung.
Frau Höfler, wie sind Sie zum Thema Spiritual Care gekommen?
Während meines theologischen Examens lernte ich Traugott Roser kennen, der mich für ein Forschungsprojekt zur Krankenhausseelsorge in Münster gewann. Mich hat beeindruckt, wie wichtig seelsorgliche Arbeit in Kliniken und Pflegeeinrichtungen ist – und wie wenig sie gesehen oder finanziert wird.
Ich habe dann in diesem Bereich promoviert und erkannt: Wenn Kirche in der Gesundheitsversorgung ernst genommen werden will, muss sie ihre Kompetenz auch wissenschaftlich belegen. Heute arbeite ich in einer Projektstelle der bayerischen Landeskirche daran, Spiritual Care strukturell zu verankern und Netzwerke zwischen Kirche, Wissenschaft und Praxis zu stärken.
Was unterscheidet Spiritual Care von klassischer Krankenhausseelsorge?
Das kann man eigentlich kaum vergleichen. Während die Krankenhausseelsorge ein kirchlicher Dienst für erkrankte Menschen ist, versteht sich Spiritual Care als Teil einer ganzheitlichen Gesundheitsversorgung. Sie bezieht neben körperlichen, psychischen und sozialen auch die spirituellen Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten ein – unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit.
Auch wer sich selbst nicht als spirituell versteht, hat oft Kraftquellen, die in Krisen wichtig werden können.
Dabei sind nicht nur Seelsorgerinnen gefragt, sondern alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Ziel ist, gemeinsam sensibel für spirituelle Fragen zu werden und sie in die Versorgung zu integrieren.
Und wenn das Personal selbst keinen spirituellen Zugang hat?
Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Deshalb braucht es Aus- und Fortbildungen, in denen auch die eigene Haltung zur Spiritualität reflektiert wird. Auch wer sich selbst nicht als spirituell versteht, hat oft Kraftquellen, die in Krisen wichtig werden können. Es geht darum, diese Quellen zu erkennen und zu stärken.
Was braucht es, damit Spiritualität als Teil guter Versorgung ernst genommen wird?
Die Idee ganzheitlicher Pflege ist eigentlich alt: In Klöstern war spirituelle Begleitung selbstverständlich Teil der Krankenpflege. Mit der Spezialisierung der Medizin geriet diese Dimension aber aus dem Blick. Heute erkennen viele, gerade in der Pflege und verstärkt seit der Pandemie, dass Heilung mehr ist als körperliche Genesung. Auch Menschen, die mit Kirche oder Spiritualität wenig anfangen können, erleben hier oft etwas Unerwartetes – Trost, Halt, Nähe. Ganz ohne Voraussetzungen. In solchen Momenten ist Kirche im Sinne Jesu ganz nah bei den Menschen – dort, wo es weh tut.
Wann war zuletzt so ein Moment, in dem Sie gespürt haben: Hier geht es um mehr als den Körper?
Auf einer Palliativstation, wo ich kürzlich ein Praktikum gemacht habe, habe ich erlebt, wie sich die Atmosphäre verändert, wenn ein Arzt einfach da ist – zuhört, berührt, mitfühlt. Viele Patientinnen und Angehörige kamen erschöpft und voller Sorgen und gingen gestärkt aus dem Gespräch. Diese Form von Zuwendung geht weit über das Körperliche hinaus. In solchen Momenten wird spürbar, was Spiritual Care leisten kann: Hoffnung und Würde an einem Ort, an dem der Tod allgegenwärtig ist.
Wenn Kirche da ist, wo Menschen suchen, zweifeln oder Abschied nehmen, wird sie relevant.
Wie erleben Sie den Kontrast zwischen der ästhetisierten Spiritualität in den sozialen Medien und der Realität von Krankheit und Sterben?
In unserer Gesellschaft wird Sterben oft ausgeblendet, auch in spirituellen Kontexten. Während Achtsamkeit, Smoothies und Yoga überall sichtbar sind, haben Alter, Krankheit und Tod kaum eine Lobby. Das passiert meist im Verborgenen, in Kliniken oder Pflegeheimen.
Spiritual Care kann helfen, das Sterben wieder ins Leben zu holen, ohne es zu beschönigen. Es geht darum, existenzielle Fragen zuzulassen, Angst zu benennen und auszuhalten. Ich habe erlebt, wie heilsam ein offener, würdevoller Umgang mit dem Lebensende sein kann – für Patientinnen, Angehörige und das gesamte Team.
Was kann Kirche von Spiritual Care lernen?
Dass Nähe zählt – besonders an Lebensgrenzen. Wenn Kirche da ist, wo Menschen suchen, zweifeln oder Abschied nehmen, wird sie relevant. Dafür braucht es Mut, Kreativität und Offenheit für neue Wege. Mich persönlich trägt dabei genau das: diese Momente echter Begegnung und die Hoffnung, dass Veränderung möglich ist.