Spiritualität beschränkt sich nicht auf kognitive Zugänge zu Gott – im Gespräch erklärt Psychotherapeutin Prof. Dr. Eva Maria Jäger, wie Körper und Seele zusammenwirken und wie wir durch Verkörperung neue Wege der spirituellen Verbundenheit und inneren Heilung finden können.
Was sind Embodied Prayers?
Das sind Gebete mit dem Körper. Der Begriff ‚Embodiment‘ ist nicht neu, ist aber vor allem durch Neurowissenschaftler wie António Damásio ins Blickfeld der Psychologie und Psychotherapie geraten. Die Kernidee ist, dass Körper und Seele in einem Wechselspiel stehen: Nicht nur die Seele beeinflusst körperliche Prozesse, sondern auch umgekehrt. Eine aufrechte Haltung kann zum Beispiel unsere Stimmung beeinflussen. Dieser Gedanke von Verkörperung hat mir in der christlichen Spiritualität gefehlt.
Sie sagen, der Körper bekommt in unserer spirituellen Praxis noch zu wenig Aufmerksamkeit. Welche Rolle sollte er denn spielen?
Ich habe mich viel mit Bindungspsychologie beschäftigt. Sehr viele Aspekte sind festgelegt, bevor wir die ersten Worte sprechen. Zum Beispiel wie wir unseren Körper regulieren, ob wir uns mit anderen freuen und auch körperlich mitreißen lassen können, oder wie viel Nähe wir als angenehm empfinden.
Spiritualität hat eine große Aufgabe, weil sie uns nicht von Menschen abhängig macht, sondern etwas installiert, was mir Sicherheit und Geborgenheit geben kann.
Wenn ich Klienten habe, die keine guten Bindungserfahrungen gemacht haben, dann können sie sich im Erwachsenenmodus nicht so einfach entspannen, lockerlassen oder sich geborgen fühlen. Das ist ein sogenannter Bottom-Up-Prozess. Der kommt aus dem Körper nach oben. Ich kann mir noch so viele Gedanken über Geborgenheit machen, aber muss sie körperlich deswegen noch lange nicht erleben. Als Christin habe ich mich gefragt, ob Spiritualität bei diesen Bindungsthemen nicht einen regenerierenden Effekt haben kann. Durch eine nährende Gottesbeziehung, die mich in einen sicheren Modus bringt, innerlich wie äußerlich. Da hat Spiritualität in meinen Augen eine große Aufgabe, weil sie uns nicht von Menschen abhängig macht, sondern etwas installiert, was mir Sicherheit und Geborgenheit geben kann.
Was bedeutet Spiritualität für Sie?
Für mich bedeutet Spiritualität, ganz zu werden. In Jeremia 29,13 steht: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen sucht, werde ich mich von euch finden lassen.“ Diese Worte haben mich tief beschäftigt. Es scheint fast so, als ob „mit ganzem Herzen“ ein anderes Wort für Gottes Gegenwart wäre. Und beides hängt eng zusammen: Wo ich Gott finde, werde ich ganz – und wo ich ganz werde, finde ich ihn.
Wo ich Gott finde, werde ich ganz. Und wo ich ganz werde, finde ich ihn.
Wenn Gott in mein Leben tritt und in meinem Herzen Raum findet, wandelt sich das innere und äußere Miteinander. Aus dem bisherigen inneren Konflikt, dem Gegeneinander, wächst etwas Neues und Ganzes, etwas Heilendes.
Wie haben Sie die Embodied Prayers entwickelt?
Ich habe viele Klienten, die somatische Störungen haben und hatte selbst eine körperliche Krise. In dieser Zeit habe ich Qigong kennengelernt und gemerkt, dass die Übungen meinem Körper guttun. Als schwäbische Pietistin hatte ich anfangs so meine Bedenken, denn die Übungen kommen ja aus einer ganz anderen Weltanschauung.
Doch dann habe ich – auch ermutigt durch Schwestern vom Arenberger Kloster – die Übungen mit Psalmworten getauft. Und ich war erstaunt, wie gut das möglich war. Ich habe gemerkt, dass ich über die Verbindung von Bewegungen mit dem Wort Gottes selbst auf einer ganz substanziellen Ebene immer mehr ins Gleichgewicht kam.
Wann kommen die Körperübungen heute bei Ihnen zum Einsatz?
Es kann sein, dass ich es viele Tage nicht mache – und dann kommt eine Situation, in der ich merke, dass ich mich selbst besonders nähren und in Verbindung bringen muss. Zum Beispiel in einem Konflikt. Da tut es mir gut, einfach in den Garten zu gehen und für zehn Minuten ein solches Körpergebet zu machen.