Wer weiß, dass er von Gott angenommen ist, der kann auch sich und andere annehmen, davon ist Pfarrer Alexander Brandl überzeugt. Mit seinem Queer-Stammtisch begleitet er junge Menschen bei diesem Entwicklungsprozess.
Herr Brandl, was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf?
Mir sind viele Gebräuche, Lieder oder kirchliche Vokabeln fremd, denn ich bin erst mit Anfang zwanzig evangelisch geworden. Das ist etwas Positives, denn so kann ich Kirche machen für Menschen, die auch so ein Fremdheitsgefühl haben. Ich glaube, da gibt es ganz schön viele.
Sie sind Pfarrer im Olympiadorf in München. Was ist das Besondere an diesem Ort?
Eine von vielen Besonderheiten ist, dass ein Drittel der Menschen, die hier leben, Studierende sind. Daher war es mir ein Anliegen Angebote für diese Zielgruppe zu schaffen. Dafür habe ich mit einer katholischen und einer weiteren evangelischen Kollegin die Marke Sancta Olympia gegründet, wo es um Spiritualität und Persönlichkeitsentwicklung für junge Erwachsene geht, die nicht mehr zwingend etwas mit Kirche anfangen können.
Wenn ich in die Bibel schaue, erlebe ich, dass ich als ganzer Mensch angenommen bin. Das zu verinnerlichen war ein spiritueller Prozess.
So ist ein bunter Blumenstrauß an Formaten entstanden: Chanting, Meditation, Coaching-Formate, zeitgemäße Bibelkurse. Und eben auch der Queer-Stammtisch.
Was ist das Anliegen des Stammtisches?
Das Anliegen der Veranstaltung ist erstmal einen Safer Space für junge queere Menschen zu bieten. Eine Studierendenvertreterin kam mit der Idee auf uns als Gemeinde zu. Für mich war dieses Zutrauen in die Kirche der Wahnsinn. Am Anfang waren wir eine kleine Gruppe aber es werden immer mehr. Nicht zuletzt dank der sozialen Medien.
Würden Sie sich wünschen, dass diese explizit queeren Räume überflüssig wären?
Selbst wenn queere Menschen vollkommen akzeptiert wären, bräuchte es diese Formate. Es ist gut, dass es Orte gibt, wo ich mich mit Menschen austauschen kann, die meine Themen und Kämpfe kennen. Und es ist leider nicht so, dass queere Menschen überall gern gesehen sind, auch nicht in Kirchengemeinden. Das erleben diese Menschen. Sie haben Verletzungen und Schmerz erfahren. Daher sind viele anfangs skeptisch – das sieht man oft schon an den Blicken und der Körperhaltung. Umso mehr erstaunt es mich, dass sie sich neu auf Kirche einlassen.
Es gibt so viele queere Angebote. Warum kommen die Menschen zu Ihnen, wenn sie mit der Kirche so schlechte Erfahrungen gemacht haben?
Weil ihnen ihr Glaube wichtig ist – so einfach ist das! Sie wollen nicht von Jesus Christus lassen und glauben auch, dass sie das nicht müssen. Viele sind jung und befinden sich in einer Lebensphase, in der die Frage nach der eigenen Identität sehr viel Raum einnimmt.
Ich glaube, dass Spiritualität, Glaube, Persönlichkeit, Sexualität und unsere Art, Beziehungen einzugehen, nicht voneinander zu trennen sind. Sie erhoffen sich von uns, dass wir ganzheitlich auf sie als Menschen schauen. Dass sie keinen Teil von sich verneinen müssen. Weil Gott ganz Ja zu uns sagt, können wir auch Ja zu uns selbst und zueinander sagen.
In meiner eigenen Biografie ist das ein ganz wichtiger Punkt, denn dass ich als schwuler Mann so offen zu mir stehen kann, hat ganz klar mit meinem Glauben an Jesus Christus zu tun. Wenn ich in die Bibel schaue, erlebe ich, dass ich als ganzer Mensch angenommen bin. Das zu verinnerlichen, war wirklich ein spiritueller Prozess. Durch dieses Angenommensein konnte ich mich auch auf allen anderen Ebenen annehmen. Erst kam der Glaube, das Spirituelle, dann der Rest.
Glaube ist also Persönlichkeitsentwicklung. Wo erleben Sie Gott sonst noch bei Ihren Treffen?
Wir treffen uns in einer netten Runde, in der wir Spaß haben und uns gut unterhalten. Deswegen haben wir auch den Begriff des Stammtisches gewählt – um das Gesellige hervorzuheben. Es ist kein Ort, wo man belehrt wird, sondern wo man sein darf. Ich habe bisher in Kirchengemeinden noch nie erlebt, dass Menschen mit so vielen verschiedenen Weltanschauungen und Frömmigkeitsstilen zusammenkommen und diese so wertschätzend und respektvoll miteinander ins Gespräch bringen. In puncto gegenseitige Annahme und Diskussionskultur ist der Queer-Stammtisch ein echtes Vorbild für mich und ich erlebe dort, wie Gott im Miteinander wirkt.