Zwischen Amt und innerer Suche: Warum gelebte Spiritualität mehr als Predigten braucht

Die Fragen stellte Julia Spliethoff

Was bleibt von der eigenen Spiritualität, wenn der Talar abgelegt ist? Frank Zelinsky, Leiter der Pastoralkollegs, spricht darüber, wie wichtig es ist, in der öffentlichen Rolle die persönliche Glaubenssuche lebendig zu halten.

Gibt es einen Unterschied zwischen der beruflich religiösen Praxis als Pfarrer:in und der persönlichen Spiritualität?

Wenn wir als Pfarrer:innen von Gott reden, beten, in der Bibel lesen oder predigen, tun wir das immer in einer öffentlichen Rolle. Es besteht das Risiko, diese Rolle mit dem eigenen geistlichen Leben zu verwechseln und so die eigene Suche nach Gott zu vernachlässigen. Dann kommt man in die Gefahr Formeln oder Lieblingsgedanken zu wiederholen. Menschen wollen aber keine Richtigkeiten hören. Sie wollen wissen, wie jemand es schafft an Gott dranzubleiben und auf ihn zu vertrauen in dieser Welt mit all ihren Widersprüchen und der Zerrissenheit. Im Pastoralkolleg versuchen wir diesen Blick zu eröffnen.

Wie tun Sie das?

Wir fragen uns, was übrigbleibt, wenn man den Talar weglässt. Wenn wir miteinander in der Bibel lesen, dann geht es nicht darum, wie man daraus am besten eine Predigt machen kann, sondern ob diese Worte eigentlich noch zu uns sprechen.

Menschen wollen keine Richtigkeiten hören. Sie wollen wissen, wie jemand es schafft an Gott dranzubleiben.

Manche erschrecken darüber, wenn sie erkennen, dass sie eigentlich jeden Zugang verloren haben. Sich der Wirklichkeit zu stellen ist aber ein guter Anfang. Ich glaube, dass ein öffentliches Auftreten nur dann tragfähig ist, wenn es auch genährt ist von dem eigenen Suchen – und da gehören die Zweifel und die Zerrissenheit dazu.


Was empfehlen Sie denn, um die eigene Spiritualität lebendig zu halten und nicht in den Routinen des pastoralen Dienstes zu erstarren?

In meiner alten Gemeinde habe ich morgens die Kirche auf- und abends zugesperrt und hab mir selbst fünf Minuten Zeit genommen, einfach in einer Bank zu sitzen. Man muss so wahnsinnig viel machen als Pfarrer und ist immer in Action. Davon eine Unterbrechung zu haben und einfach nur im Augenblick zu sein, ist sehr kostbar. Wenn es regelmäßig möglich ist sich der Tatsache zu stellen, dass ich selbst Suchender bin und mich anschauen lasse von Gott, ist das ein Gewinn. 

Spiritualität bedeutet eine Unterbrechung in unserer Logik von Effizienz.

Einmal am Tag so eine kleine Unterbrechung, einmal in der Woche eine größere, einmal im Jahr eine Woche in die Stille gehen – unsere Kirche gibt uns dazu die Möglichkeit. Wir leben wahnsinnig verzweckt, aber Spiritualität bedeutet eine Unterbrechung in unserer Logik von Effizienz. Dem Raum und Zeit zu geben, dass dieses Leben ein Geheimnis bleibt und dass Gott ein Geheimnis bleibt, ist für mich ganz wesentlich.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei Hauptamtlichen, die heute ins kirchliche Leben einsteigen?

Das System Kirche in der konkreten Gestalt von Gemeinden erwartet erstmal, dass es immer irgendwie weitergeht. Das Fatalste wäre, wenn junge Mitarbeitende den Eindruck bekommen, sie müssen den Laden am Laufen halten und die Kirche retten.
Davon müssen sie freigesprochen werden. Sie sollten schauen, warum sie eigentlich angetreten sind. Warum tun sie, was sie tun, und was wollen sie in die Welt tragen? Als Pfarrer:in steht man unter dem Druck alle glücklich machen zu müssen. Das ist fatal, weil es einfach nicht machbar ist. Da muss man lernen Erwartungen auch zu enttäuschen.


Wie können Hauptamtliche den Menschen, die sie begleiten, helfen, Spiritualität als Quelle der Verbundenheit und Erfüllung zu erleben?

Indem sie das zur Verfügung stellen, was ihnen selbst am Kostbarsten ist. Ich glaube, wir können nur das gut weitertragen, was uns selbst wichtig ist und das sollten wir nicht verstecken. Damit zeige ich mich aber auf eine sehr persönliche Weise und mache mich angreifbar, wenn andere damit nichts anfangen können.

Wir können nur das gut weitertragen, was uns selbst wichtig ist, und das sollten wir nicht verstecken.

Ist Ihnen deshalb die Frage nach der Motivation für den eigenen Dienst so wichtig?

Ganz genau. Mein Tun und alle Veränderungen, die ich anstoßen will, sind nur dann tragfähig, wenn ich tiefe Wurzeln habe und weiß, warum ich tue, was ich tue. Das kann bedeuten, dass wir das, was uns vertraut ist, zur Seite schaffen und loslassen müssen, um für den Heiligen Geist offen zu werden. Wenn wir glauben, dass Gott kein ferner Gott ist, sondern etwas mit unserem Leben und den ganz konkreten Entscheidungen zu tun hat, die wir hier und heute treffen müssen, können wir daraus Inspiration für neue Wege und eine andere Gestalt von Kirche gewinnen. Das ist eine große Herausforderung und eine tolle Chance.

Frank Zelinsky

ist Pfarrer und Leiter des Pastoralkollegs der bayerischen Landeskirche in Neuendettelsau. Sein Berufsleben begann er als Gemeindepfarrer in Mecklenburg, bevor er sieben Jahre lang das Theologisch-Pädagogische Institut der früheren Mecklenburgischen Landeskirche leitete. Danach war er zwölf Jahre lang Gemeinde- und Dekanatsjugendpfarrer in Augsburg. Das Pastoralkolleg, sein heutiger Wirkungsbereich, ist die älteste Fortbildungseinrichtung Deutschlands für Mitarbeitende im pastoralen Dienst.

Unsere Kirche steht auf allen Ebenen vor weitreichenden Veränderungen. Wir werden viel miteinander nachdenken, reden und ringen müssen - und vor allem aufeinander hören. Wir werden suchen und ausprobieren.

Der Mensch ist ein Beziehungswesen – angewiesen auf Begegnung, Fürsorge und Gemeinschaft.

Worte prägen unser menschliches Dasein zutiefst. „Wir wohnen Wort an Wort“, schrieb die Dichterin Rose Ausländer.